Die Zukunft der Personalgewinnung liegt in agilen Methoden – wir stellen sieben Erfolgsfaktoren vor, die HR-Entscheider:innen kennen müssen.
Was ist im Recruiting heute eigentlich schwieriger: Schnelligkeit oder Stabilität?
Die meisten Unternehmen kämpfen mit beidem. Wer versucht, mit Tempo zu punkten, riskiert unklare Prozesse, fehlende Abstimmung und hohe Absprungraten bei Kandidat:innen. Wer hingegen auf Sicherheit und etablierte Verfahren setzt, verliert den Anschluss an einen Markt, der sich monatlich neu sortiert. Willkommen im Paradox des modernen Recruitings.
In dieser neuen Realität, geprägt von Fachkräftemangel, Plattformfragmentierung und der exponentiellen Entwicklung von KI, greifen klassische Recruitingmodelle oft zu kurz. Die Rolle von HR verändert sich dramatisch: Es geht längst nicht mehr nur darum, offene Stellen zu besetzen. Es geht darum, strategisch auf Marktveränderungen zu reagieren, Teams zukunftsfähig zu machen und das mit maximaler Anpassungsfähigkeit.
Agile Methoden, ursprünglich aus der Softwareentwicklung bekannt, bieten hierfür mehr als nur neue Tools: Sie ermöglichen eine strukturelle Neuausrichtung der Personalgewinnung - datenbasiert, iterativ, kollaborativ. Doch was bedeutet „Agilität“ konkret im Recruiting-Alltag und wie lässt sich dieser Ansatz wirksam umsetzen?
Wir zeigen sieben Erfolgsfaktoren aus unserer Praxis, mit denen Unternehmen ihre Talent Acquisition nicht nur beschleunigen, sondern strategisch neu ausrichten können. Basierend auf Erkenntnissen aus der Beratungspraxis sowie Praxisimpulsen aus dem Industrieumfeld von BENOMIK.
Flexibilität in der Personalbeschaffung
Schnelle Anpassung an Marktveränderungen
In einer volatilen Wirtschaftslage sind Stellenprofile keine stabilen Konstrukte mehr, sondern bewegliche Zielbilder. Neue Technologien, geopolitische Unsicherheiten oder regulatorische Veränderungen können innerhalb weniger Wochen den Talentbedarf von Unternehmen grundlegend verändern. Genau hier setzt agile Personalberatung an: Sie verzichtet auf starre Jobbeschreibungen zugunsten priorisierter Backlogs, die gemeinsam mit den Fachbereichen regelmäßig überarbeitet werden.
In unserem Beitrag zur Agile Recruiting Checklist beschreiben wir es als zentralen Hebel: Der Recruiting-Prozess beginnt nicht mit einem starren Anforderungsprofil, sondern mit einer kollaborativen Bedarfsanalyse, die regelmäßig überprüft wird – ähnlich dem Product Backlog im agilen Projektmanagement (BENOMIK 2023a). So lassen sich zum Beispiel neue Erkenntnisse aus Bewerbungsgesprächen, veränderte Marktbedingungen oder kurzfristige Teamdynamiken direkt in den Prozess einbinden. Recruiting wird dadurch nicht nur schneller, sondern auch präziser. Es entsteht Raum für gezielte Entscheidungen – anstatt sich durch festgefahrene Rollenbilder einschränken zu lassen.
Wichtig ist: Flexibilität bedeutet nicht Beliebigkeit. Die Rolle muss nicht jeden Tag neu gedacht werden. Aber sie darf sich verändern – und zwar bewusst, gemeinsam, und mit klarer Kommunikationsstruktur. Genau hier liegt der Unterschied zwischen klassischem Chaos und geplanter Agilität.
Iterative Entscheidungsprozesse
Regelmäßige Anpassung der Hiring-Strategie
Klassisches Recruiting folgt oft einem linearen Ablauf: Anforderungsprofil definieren, Stelle ausschreiben, Kandidat:innen auswählen, einstellen. Ein Schritt folgt dem anderen - ohne viel Raum für Reflexion oder Korrektur. Doch in der Praxis ist dieser lineare Weg selten der effektivste.
Agile Personalberatung setzt stattdessen auf iterative Schleifen. Entscheidungen werden nicht einmal getroffen und dann durchgezogen, sondern regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst. Das beginnt bereits bei der Profilentwicklung und zieht sich durch den gesamten Auswahlprozess.
Ein zentrales Element dabei sind sogenannte Sprints: kurze, klar definierte Zeitabschnitte mit spezifischen Zielen. Am Ende eines jeden Sprints steht eine Retrospektive, also ein Rückblick darauf, was funktioniert hat, was nicht, und was verändert werden sollte. Diese Rückblicke werden nicht nur intern durchgeführt, sondern idealerweise auch mit dem Fachbereich abgestimmt (BENOMIK 2023b).
Ein typisches Beispiel: Nach den ersten drei Interviews zeigt sich, dass alle Bewerber:innen am gleichen Punkt scheitern, etwa bei einem spezifischen Tool oder einer unklar formulierten Anforderung. Statt weiter im gleichen Muster fortzufahren, wird die Strategie angepasst: Entweder wird die Anforderung gestrichen, anders gewichtet oder klarer kommuniziert.
Iterative Prozesse bedeuten: Jede Entscheidung kann auf den Prüfstand. Und das ist kein Zeichen von Unsicherheit, sondern von Reife. Wer frühzeitig erkennt, dass ein Teil des Prozesses nicht funktioniert, spart nicht nur Zeit, sondern verbessert auch die Qualität des Matches.
Im besten Fall entsteht dadurch ein Rhythmus: beobachten, anpassen, umsetzen. Schritt für Schritt wird aus einem statischen Prozess ein lebendiger Zyklus, ohne Kontrollverlust, aber mit mehr Wirkungsgrad.
Fokus auf Kollaboration
Enge Zusammenarbeit zwischen HR und Fachabteilungen
Viele Recruiting-Prozesse scheitern nicht nur an der Suche nach Kandidat:innen, sondern an internen Reibungsverlusten. Fachabteilungen und HR verfolgen unterschiedliche Prioritäten, kommunizieren aneinander vorbei oder sind schlicht nicht im Austausch. Entscheidungen verzögern sich, Anforderungen widersprechen sich, Rückmeldungen fehlen. Das Ergebnis: Zeitverlust, Frust und im schlimmsten Fall eine Fehlbesetzung.
Agile Personalberatung löst dieses Problem strukturell. Statt Zuständigkeiten entlang von Abteilungen zu verteilen, werden sie gemeinsam getragen. HR wird nicht zum Dienstleister des Fachbereichs, sondern zum gleichberechtigten Partner im Prozess. Und umgekehrt: Die Fachseite wird stärker in Verantwortung genommen.
Konkret bedeutet das: Schon in der frühen Phase der Anforderungsdefinition sitzen HR und Hiring Manager:innen gemeinsam am Tisch. Sie priorisieren Anforderungen, sprechen über Teamdynamiken, klären Erwartungshaltungen. Im weiteren Verlauf finden regelmäßige Abstimmungen statt, etwa in Form kurzer Stand-ups, Sprint-Reviews oder gemeinsamer Bewertungsgespräche.
McKinsey bezeichnet diese cross-funktionale Zusammenarbeit als zentrales Element agiler HR-Modelle, weil sie Entscheidungswege verkürzt, Rollen klärt und Geschwindigkeit mit Qualität verbindet (McKinsey 2021a).
Wichtig ist: Kollaboration heißt nicht „mehr Meetings“. Es bedeutet, dass jede:r weiß, wer wann wofür zuständig ist und dass es etablierte Kommunikationswege gibt, um schnell auf Veränderungen zu reagieren. Damit das gelingt, braucht es klare Rollen: Wer ist inhaltlich verantwortlich? Wer entscheidet? Wer gibt Feedback?
In agilen HR-Teams werden diese Rollen explizit gemacht, vergleichbar mit der Logik aus Scrum: HR kann beispielsweise die Rolle eines „Recruiting Owners“ einnehmen, während die Fachabteilung als „Anforderungsgeberin“ fungiert. Diese Denkweise sorgt für Transparenz und beugt Missverständnissen vor.
Das Ergebnis: weniger Abstimmungsbedarf, klarere Entscheidungen, schnellere Prozesse. Und ein Recruiting, das nicht zwischen den Stühlen steht, sondern auf beiden Seiten fest verankert ist.
Datengestützte Entscheidungen
Bewerberanalyse mit KI und Automatisierung
In vielen Unternehmen wird über Recruiting noch so gesprochen wie über eine Kunstform. „Wir haben ein gutes Gefühl bei der Person.“ Oder: „Das hat beim letzten Mal gut funktioniert.“ Kennen Sie diese Aussagen? Klar, diese Erfahrungswerte sind nicht wertlos, aber sie reichen nicht aus, wenn Prozesse skaliert werden müssen oder sich Rahmenbedingungen schnell ändern.
Agile Recruiting-Teams arbeiten deshalb mit eindeutigen Daten. Sie analysieren, wo Bewerber:innen abspringen, wie lange einzelne Prozessschritte dauern, welche Kanäle am besten performen oder welche Kompetenzen in Interviews tatsächlich messbar sind. Und sie nutzen diese Daten, um Entscheidungen nachvollziehbar und justierbar zu machen.
In unserem vorherigen Artikel zur Recruitment Technology zeigen wir, dass es nicht nur auf Tools ankommt, sondern auf die Fähigkeit, mit Daten verantwortungsvoll umzugehen: Muster zu erkennen, Zusammenhänge einzuordnen und Entscheidungen auf einer fundierten Grundlage zu treffen. Besonders gefragt sind Kompetenzen wie Data Literacy, kritisches Denken im Umgang mit KI-Auswertungen und die Fähigkeit zur Interpretation komplexer Zusammenhänge (BENOMIK 2023c).
Auch das HRM Handbook betont, wie wichtig es ist, Entscheidungen im Recruiting nicht allein auf Erfahrung zu stützen, sondern systematisch auf Basis von Echtzeitdaten zu treffen (HRM Handbook 2022). Automatisierte Tools können diesen Prozess unterstützen, etwa bei der Auswahl, bei Rückmeldungen oder bei der Vorqualifikation von Bewerber:innen. Datenbasierte Entscheidungen sind kein Gegensatz zu Intuition - sie ergänzen sie. Wer seine Prozesse misst, erkennt Muster. Und wer Muster erkennt, kann bewusst eingreifen, nicht nur reagieren, wenn es zu spät ist.
Proaktive Talentakquise
Kontinuierlicher Beziehungsaufbau zu Kandidat:innen
Traditionelles Recruiting startet oft zu spät. Erst wenn eine Stelle vakant ist, beginnt die Suche. Somit ist der Zeitdruck extrem hoch und der Handlungsspielraum gering. Genau das macht proaktive Talentakquise zu einem zentralen Bestandteil agiler Recruiting-Strategien.
Daher ist es wichtig und kritisch, Talentpools frühzeitig aufzubauen und langfristig zu pflegen, unabhängig von konkreten Ausschreibungen (HRM Handbook 2022). So entsteht aktive Nähe, bevor der Bedarf drängt - Kandidat:innen bleiben im Kontext, HR‑Teams handeln agil und ohne „Feuerwehrmodus“. Die Reaktionsfähigkeit wächst früher, ohne die Steuerung zu verlieren.
Proaktive Akquise bedeutet: Der Dialog beginnt, bevor die Vakanz entsteht. Wer Talente frühzeitig einbindet, reduziert nicht nur die Time-to-Hire, sondern erhöht auch die Qualität des Matchings, weil der kulturelle Fit schon vorab geprüft werden kann.
Schnellere Prozesse
Weg von starren Strukturen, hin zu agilen Teams
In einem dynamischen Marktumfeld entscheidet nicht nur wer, sondern auch wann ein Unternehmen Talente anspricht. Verzögerte Prozesse, unklare Zuständigkeiten und lange Wartezeiten kosten gute Kandidat:innen. Agile Recruiting-Modelle setzen daher bewusst auf Beschleunigung durch Struktur, nicht durch Hektik.
Agiles Recruiting begegnet diesem Problem mit Struktur statt Hektik. Anstelle monatelanger linearer Prozesse werden Abläufe in kleine, definierte Zyklen gegliedert mit klaren Kommunikationspunkten und Verantwortung pro Phase (BENOMIK 2023a).
Dadurch lassen sich kleinere Probleme früh erkennen – sei es überholte Anforderungen, fehlende Profile oder fehlende Abstimmung. Statt auf das Finale zu warten, entstehen Zwischenentscheidungen, die genügend Flexibilität erlauben, ohne an Stabilität zu verlieren. Parallel dazu betont McKinsey (2021b): In Organisationen, die eine agile Transformation konsequent umgesetzt haben, wurde eine Vervielfachung der Geschwindigkeit festgestellt.
Auch wenn diese Daten aus großflächigen Transformationen stammen: Die Logik lässt sich übertragen. Wenn HR im Maßstab agiler Teamarbeit denkt, mit klaren Verantwortlichkeiten, kurzen Rückkopplungen und einem geteilten Backlog, steigert das die Geschwindigkeit der Personalgewinnung deutlich. Zudem erkennen agile Modelle eine wichtige Wechselwirkung: prozessorientierte Klarheit zieht Kandidat:innen an, weil Bewerbungswege transparenter und Kommunikation verbindlicher werden. Das wirkt weit über Effizienz hinaus und prägt positive Wahrnehmung und Glaubwürdigkeit.
Employer Branding stärken
Agile Methoden zur Verbesserung der Arbeitgebermarke
Der Recruiting-Prozess ist heute mehr denn je Teil der Außenwirkung. Kandidat:innen erleben ihn als ersten kulturellen Eindruck. Wer unstrukturiert, langsam oder intransparent wirkt, beschädigt seine Marke unabhängig vom finalen Angebot.
In unserem Artikel zur Candidate Experience beschreiben wir, wie Retrospektiven, Feedback-Loops und automatisierte, aber wertschätzende Kommunikation dazu beitragen, die Wahrnehmung als Arbeitgeber:in aktiv zu gestalten (BENOMIK 2023d).
Auch das HRM Handbook verweist auf die Bedeutung einer konsistenten, professionellen Erfahrung gerade bei Bewerber:innen, die am Ende nicht eingestellt werden (HRM Handbook 2022). Denn sie prägen das Bild der Marke nach außen.
Agile Personalberatung sorgt hier für Verlässlichkeit: Bewerbungsprozesse sind klar strukturiert, Rückmeldungen erfolgen zeitnah, Interviews sind gut vorbereitet und alle Beteiligten wissen, was als Nächstes passiert. Das schafft Vertrauen und hebt das Unternehmen positiv vom Markt ab.
Fazit
Wir erleben gerade, wie Recruiting seine Rolle neu finden muss. In Gesprächen mit Kund:innen hören wir immer wieder dasselbe: „Wir mehr Tempo, aber bitte ohne Qualitätsverlust.“ Oder: „Wir sind zu langsam, aber wir wissen auch nicht, wo wir anfangen sollen.“
Agilität gibt darauf keine einfache Antwort. Aber sie bietet Werkzeuge, mit denen sich Strukturen verändern lassen - Schritt für Schritt. Und die Implementierung agiler Methoden in Ihrer Talent Acquisition ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der sich über die Zeit verbessert.
Die sieben Faktoren in diesem Artikel sind Beobachtungen aus unserer täglichen Arbeit. Und sie zeigen, was funktioniert, wenn es schnell gehen muss. Wenn Anforderungen unklar sind. Oder wenn intern nicht alles im selben Takt läuft. Agiles Recruiting ist unter anderem die Zukunft der Personalberatung, weil sie agil, datengestützt und kollaborativ ist. Es ist ein Arbeitsmodus, der besser zum Markt passt. Und näher an den Menschen ist, die darin arbeiten. Starten Sie heute mit dem ersten Schritt und machen Sie Ihre HR-Abteilung agil und fit für die kommenden Herausforderungen.
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Unsere Checkliste für agiles Recruiting zeigt Ihnen Schritt für Schritt, wie sich zentrale Scrum-Elemente, etwa Backlogs, Sprints oder Stand-ups, wirkungsvoll in Ihren Auswahlprozess integrieren lassen: strukturiert, nachvollziehbar und sofort umsetzbar.
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Quellen
BENOMIK (2023a): Agile Recruiting Checklist – How to make your hiring process faster and more efficient.
BENOMIK (2023b): Scrum meets Recruiting – How agile sprints help you attract top talent faster.
BENOMIK (2023c): Recruitment Technology: Talent Acquisition in the Future of Industry 4.0.
BENOMIK (2023d): Candidate Experience: How Feedback Loops Drive It Forward.
McKinsey & Company (2021a): Agile Talent – How to Revamp Your People Model to Enable Value Through Agility.
McKinsey & Company (2021b): The impact of agility: How to shape your organization to compete
HRM Handbook (2022): Agile Talent Acquisition – Recruiting Strategy for Dynamic Organisations.